Das Internet spielt eine entscheidende Rolle in der Aufarbeitung der Katastrophe der Duisburger Loveparade. Die Nachricht über die Massenpanik auf der Techno-Party, bei der am Samstag 19 Menschen starben und über 340 verletzt wurden, machte zunächst den Kurznachrichtendienst Twitter zu einem Vermisstensuchdienst im Web. Die Videoplattform YouTube füllte sich schließlich am gestrigen Sonntag im Minutentakt mit Amateurvideos von Augenzeugen, die die Schreckenssekunden im Todestunnel oder außerhalb davon per Handykamera dokumentieren http://www.youtube.com/ .
Videosharing lässt aufarbeiten
"Die hochgeladenen Videos haben eine wichtige psychologische Funktion", erklärt Bernhard Schlag, Verkehrspsychologe an der TU Dresden http://www.verkehrspsychologie-dresden.de, im pressetext-Interview. "Die Katastrophe hat viele Partybesucher traumatisiert. Über die Videoblogs gelingt es ihnen, Gemeinschaft zu finden und so das Erlebte aufzuarbeiten." Schlag rät, das Geschehen mit Menschen im Nahbereich zu besprechen um in Zukunft derartigen Situationen möglichst aus dem Weg zu gehen. In Einzelfällen sei es das beste, Seelsorger oder Psychologen aufzusuchen.
Politik setzte aus Imagegründen auf Risiko
Konsequenzen der Katastrophe zeichnen sich jetzt schon ab. Künftige Loveparades auf deutschem Boden wurden von den Veranstaltern auf Eis gelegt, in Diskussion ist derzeit der Rücktritt verantwortlicher Duisburger Politiker. Schlag sieht das Geschehene als Zeichen, dass die Behörden immer mehr den Geschäfts- und Darstellungsabsichten nachgeben. "Die Politiker hatten Angst, dass nach der Absage der Bochumer Loveparade im Vorjahr die Veranstaltung nicht wieder ins Ruhrgebiet kommen würde." Der Schaden ist nun jedoch ungleich größer als der befürchtete Imageverlust.
Für Massenveranstaltungen allgemein sieht Schlag keinen Bedarf strikterer Regelungen. "Die Regeln sind schon heute vorhanden, doch wurden in vielerlei Hinsicht missachtet. Bevor es zu einer Panik kommt, läuft schon vieles im Vorfeld schief. Zu den in Duisburg begangenen Todsünden gehört etwa, dass die Veranstalter die Menschenmassen aufeinander zuführten und sich kreuzen oder gegeneinander scheren ließen", so der Experte.
Ortskundige sahen Katastrophe kommen
Schlimmster Fehlgriff war sicher die Wahl des Geländes. Dieses war vielleicht für die zugelassenen 250.000 Menschen, niemals jedoch für Massen von 1,4 Mio. geeignet, von denen die Veranstalter berichteten. Nicht nur Polizei, Feuerwehr und andere Sicherheitskräfte hatten sich im Vorfeld darüber kritisch geäußert. Auch Webuser auf Twitter bezeichneten den schicksalhaften Tunnel, der den einzigen Zu- und Ausgang bildete, als "Falle". Postings in Artikeln zur Vorbereitung des Events sahen sogar Tote voraus. "Hätte man mit genauer Kenntnis der Massenbewegungen und verlässlichen Angaben zur Anzahl der Besucher geplant, hätte es nicht zur Katastrophe kommen müssen", betont Schlag.
Quelle: pressetext.at