»Tja also, Dietrich hat so eine Blutspendespritze«, sagt Lucien Guillaume im belgisch-französischen Akzent. »Ein Gerät zur Blutdirektübertragung aus den 50-er Jahren«, präzisiert Dietrich Holle, aber auch diese Formulierung scheint die Sache nicht ganz zu treffen. »Nein, das ist von die Jahr 1930, da bin ich mir sicher«, korrigiert der Gast aus Brüssel bestimmt, relativiert seinen Einwand aber noch einmal: »Zumindest die System ist von der 30; mag ja sein, dass deine Gerät später produziert wurde.« Die beiden Männer verzichten darauf, ihren Disput fortzusetzen, denn eigentlich wollte Lucien nur sagen, dass sich besagtes Objekt in seiner Sammlung ebenfalls gut ausnehmen würde.
Seit 20 Jahren halten sich die beiden Männer nunmehr schon die Freundschaft, der Licher Dietrich Holle und Lucien Guillaume aus Brüssel. Kennen gelernt haben sie sich auf einer Ausstellung zur Geschichte der Bluttransfusion in Büdingen anlässlich des 125-jährigen Jubiläums des hiesigen Roten Kreuzes, zu der Lucien als Ehrengast eingeladen worden war. Damals entdeckten sie ihre gemeinsame Leidenschaft: das Sammeln von sämtlichen Dingen, die irgendwie mit dem Roten Kreuz in Verbindung stehen. Seitdem besuchen sie sich regelmäßig, nehmen an Ausstellungen teil oder veranstalten kleine Insider-Börsen. Zu ihrem etwas ausgefallenen Hobby kamen sie von Berufs wegen.
Holle war seinerzeit Gemeindekrankenpfleger. Bei einer Altkleidersammlung in Lich stieß er auf eine Anstecknadel vom Roten Kreuz. Kurz darauf besuchte er eine Ausstellung über Blutspendennadeln des Blutspendendienst Frankfurt in Heuchelheim. »Da dachte ich: was die können, das kannst du auch.« Wie bei allen Sammlern hat seine Leidenschaft seither eine Eigendynamik entwickelt. Mittlerweile besitzt er etwa 700 Anstecknadeln, Objekte rund ums Blutspenden bilden jedoch den Schwerpunkt seiner Sammlung. Im Grunde sammelt er aber »alles, was ein rotes Kreuz oder einen roten Halbmond aufweist.« (Den Halbmond verwenden die islamisch geprägten Staaten analog zum Symbol des Kreuzes). Seine erste Ausstellung machte der gebürtige Siegerländer 1976 im Licher Bürgerhaus, und seitdem war er immer wieder mit Ausstellungen über das Rote Kreuz in der Region vertreten, zuletzt mit einer Rundschau zu Florence Nightingale im Licher Heimatmuseum.
Seinen Fundus verstaut er in einem kleinen Zimmer, das aus allen Fugen zu treten scheint. Da finden sich historische Dienstkleidungen, Wimpel, Fahnen, Aufkleber, Briefmarken, Plakate, medizinische Bedarfsartikel, Plüschtiere und auch allerhand Nippes. Alles vom Roten Kreuz. »Wenn ich genügend Geld hätte, würde ich gerne ein Blutspendenmuseum eröffnen«, sagt er mit Blick auf sein kurioses Kabinett, das nicht gerade repräsentativ hergerichtet ist. Zu seinen Schätzchen zählt das Modell eines Feldlazaretts aus dem Zweiten Weltkrieg. Liebevoll hat er die naturgetreu nachgebildeten Elastolinfiguren in einer Vitrine arrangiert, die sich beleuchten lässt. Außerdem eine Fieseler Fi 156, wegen des hochbeinigen Fahrgestells auch Fieseler Storch genannt. Aufgehängt an unsichtbaren Fäden, schwebt das kleine Modellflugzeug regungslos unter der Lampe in der Mitte des Raumes, in dem sich keine drei Schritte machen lassen, ohne dass man einen Karton oder sonst was aus dem Wege zu räumen hätte.
Wie müsste man da staunen, wenn man erst zu Gesicht bekäme, was Guillaume im Laufe seines Lebens zusammengetragen hat und wovon er in diesem Augenblick nur berichten kann. Bis ins fünfte Glied sind seine Vorfahren als Ärzte und Krankenpfleger der Medizin und der Pharmazie verbunden, und viele Objekte stammen daher aus Familienbesitz. »Ich habe Instrumente von meine Urgroßvater in die Sammlung. Auch eine Babyflasche aus der römische Zeit, die er auf die Ardennen, wo wir herstammen, gefunden hat.« Seine thematisch breiter angelegte Sammlung ist so umfangreich, dass er sie an verschiedenen Orten zuhause und in der Universität aufbewahrt, wo er, der einstige Rettungsassistent, inzwischen als Privatdozent sein ehemaliges Fach unterrichtet. Da gibt es historische Rollstühle, altmodische Krücken, antiquierte OP-Lampen, pharmazeutische Gefäße aus den unterschiedlichsten Epochen – »Ich könnte eine komplette und funktionstüchtige OP von die Jahr 1900 aufbauen, mit Kleidung, Instrumente, Geräte und auch eine chirurgische Handbuch aus derselbe Zeit. Oder eine historische Apotheke oder eine Feldlazarett...ich habe auch eine vollständige Rote-Kreuz-Koffer aus die Erste Weltkrieg, das fasst eine Kubikmeter, sehr rar.«
Das Rarste und somit auch wertvollste Stück seiner Sammlung ist aber ein vollständiges Fahnensortiment der internationalen Zusammenkunft der Jugendabteilung Rotes Kreuz von 1935. Als er es 1984 schätzen ließ, wurde der Wert auf 4,3 Millionen belgische Franken veranschlagt. Das entsprach damals über einer halben Millionen Mark. Deswegen lagern die Fahnen auch in der Brüsseler Nationalbank. Ihr Wert dürfte inzwischen gestiegen sein.
Auch Lucien träumt von einem eigenen Museum. Für den Fall, dass es ihm zu Lebzeiten nicht mehr gelingt, seine Sammlung zu veröffentlichen, wird eben dieser Wunsch sein letzter Wille sein. Vorläufig begnügt er sich mit historischen Forschungen, die er regelmäßig publiziert. Jüngst erschien von ihm eine »Geschichte der Sanitätszüge« im Weyrich-Verlag. Ganz nebenbei ist er auch staatlich geprüfter Schminkmeister, natürlich nicht am Theater. Seine Künste im Unfallschminken bringt er bei Katastrophenübungen zur Geltung. Auch in Lich war man schon über die von ihm gezeichneten Opfer schockiert.
Von Neid kann bei Holle angesichts der Opulenz von Luciens Sammlung keine Rede sein. Vielmehr freut er sich, mit einem so versierten und vielseitigen Mann seit 20 Jahren fachsimpeln zu dürfen. Und manches liebe Stück verdankt sich dieser Verbindung, so auch Luciens erste Krankenpflegerbinde, die er Dietrich zum Zeichen seiner Freundschaft schenkte. Holle wüsste auch gar nicht, wohin mit einer kompletten OP-Einrichtung, schon allein deswegen bleiben seine Wünsche bescheiden. Zu denen zählt beispielsweise ein Buch über die Entstehungsgeschichte des Roten Kreuzes, verfasst von Rudolf Müller im Jahre 1897. Eben diesem Buch verdankten der Mitbegründer des Roten Kreuzes, Henry Dunant, sowie der französische Pazifist Frédéric Passy die Verleihung des ersten Friedensnobelpreises im Jahre 1901. Dass Dietrich Holle und Lucien Guillaume selbst langjährige Mitglieder des Roten Kreuzes sind, braucht man wohl nicht eigens zu erwähnen. Das Rote Kreuz haben sie praktisch beide im Blut.
Quelle: giessenerAllgemeine