Samstag, 31. Juli 2010

Panikmache

Der tragische Fall von Massenpanik bei der Loveparade in Duisburg vergangenes Wochenende, wirft viele Fragen auf. Kleine Zeitung Digital nahm steirische Großveranstaltungen ins Visier. Die Experten setzen auf Prävention.

"Wenn Zehntausend loslaufen, ist man machtlos", ist Rot-Kreuz-Sprecher August Bäck, der die tragischen Bilder aus Duisburg noch im Kopf hat, überzeugt. Großveranstaltungen bergen immer ein gewisses Risiko, das durch gewisse Vorsichtsmaßnahmen aber minimierbar ist. Persönlich hat Bäck auch "Bauchweh", wenn seine Kinder auf Rockfestivals gehen. Zu gut kennt er von Berufs wegen die Situationen bei Veranstaltungen.


Großes Lob spricht er aber etwa dem Sicherheitskonzept beim Schifliegen am Kulm aus, bei dem heuer immerhin 60.000 Besucher dabei waren. Das Konzept sei so gut, dass es auch für andere internationale Schiveranstaltungen adaptiert würde. "Nur ja nicht bei der Sicherheit sparen und großzügige Schätzungen zur Besucherzahl machen", so sein Tipp.

Sollte es für die Rettungshelfer einmal kein Durchkommen durch die Massen geben, arbeitet das Rote Kreuz mittlerweile auch immer wieder mit Hilfe von Telemetrie. "Der Patient wird vor Ort verkabelt und die Daten direkt ans Krankenhaus durchgegeben". Der Arzt gibt per Ferndiagnose die Anweisungen, die der Sanitäter umsetzt. Das System wurde etwa beim Mitteleuropäischen Katholikentag 2004 in Mariazell eingesetzt, wo sich 100.000 Menschen zusammengefunden hatten. Einen wesentlichen Beitrag leisten auch die so genannten "First Responder", die mit einer Notfallausrüstung im Rucksack durch die Menschenmengen patroullieren.

Wie die Rettungsleute haben natürlich auch die Einsatzkräfte der Polizei Erfahrungen mit Massenveranstaltungen. "Das Führungsteam ist hinsichtlich einer Massenpanik psychologisch und einsatztechnisch geschult", erklärt Benno Kleinferchner vom Einsatzreferat der Bundespolizei Graz. Wesentlich sei es aber, Gefahren im Vorhinein zu erkennen und Maßnahmen zu ergreifen. "Abkämmen, rechtzeitig absperren und Durchsagen machen", erklärt der Beamte.

Er sieht vor allem abgeschlossene Räumlichkeiten als Problem. Bei Konzerten in der Grazer Stadthalle seien immer wieder weitgreifende Absperrmaßnahmen nötig. Vor dem Eingang würden mehrere Vorsperren, im Inneren so genannte Wellenbrecher aufgebaut. "Damit beim Eingang kein Druck entsteht." Genau hier vermutet er das Problem von Duisburg. Nachsatz: "Aber im Nachhinein ist man immer gescheiter." Ordentlich ins Schwitzen geraten sind er und seine Kollegen bei der ersten Sturm-Meisterfeier 1998. "Da hatten wir einen sehr sehr großen Druck am Hauptplatz".

Auch zu Fasching, beim Marathon und zu Silvester befindet sich die Grazer Innenstadt regelmäßig im Ausnahmezustand. Das Bermuda-Dreieck entpuppt sich dabei verstärkt als erhöhtes Sicherheitsrisiko. Als "extrem dicht", bezeichnet Andreas Köhler vom Sicherheits- und Veranstaltungsmanagement der Stadt Graz das Areal, das vor allem über enge Gässchen und Passagen zugänglich ist. Diese so genannten "Flaschenhälse" bergen nicht zu unterschätzende Gefahren. Die Fluchtmöglichkeiten im Falle einer Panik seien beschränkt. "Deshalb arbeiten wir bereits frühzeitig am Anfang der Gassen mit Sperrbalken." Beginnt es sich zu stauen, werden keine neuen Menschen mehr eingelassen.

Die Planung einer Großveranstaltung ist in der Steiermark zu Recht aufwendig. "Grundsätzlich sind alle Veranstaltungen bewilligungspflichtig", erklärt Köhler. In der Landeshauptstadt sind je nach Areal Polizei (Indoor, Parkanlagen, etc.) und Straßenamt (öffentliche Plätze und Straßen) zuständig. Am Schlossberg (Kasematten, Dom im Berg) hat auch die Liegenschaftsverwaltung ein Wörtchen mitzureden bzw. gelten zivilrechtliche Verträge, da er sich teils in Privatbesitz befindet.
Kontrolle ist wesentlich

Will jemand eine Veranstaltung abhalten, kommt es zu einem Bewilligungsverfahren. Die Dauer ist je nach Art der Veranstaltung verschieden. "Wesentlich sind die Vorgespräche", so Köhler. Mögliche Sicherheitslücken und diverse Szenarien werden gemeinsam mit Experten von Magistrat, Sicherheits-und Verkehrspolizei, Rotem Kreuz, Feuerwehr und Veranstalter durchgespielt. In den Bewilligungen sind dann detailliert Sicherheitsvorgaben fixiert, die der Veranstalter einzuhalten hat. So etwa die Anzahl von Security-Leuten, Sicherheits- und Verkehrspolizisten, Rot-Kreuz-Stützpunkten, Zufahrts- und Fluchtwegen.

Ist die Panik nämlich einmal ausgebrochen, sei es zu spät. "In Panik geratene Menschen sind nicht berechenbar", gibt der Veranstaltungsexperte zu Bedenken. Damit die entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen auch umgesetzt werden, kommt es "je nach Größe der Veranstaltung zu mehreren Kontrollen". Zu den Vorfällen in Duisburg will sich Köhler ohne genaue Infos nicht äußern. Nur eines: "Man lernt aus solchen Vorfällen". Traurig, aber wahr.