Donnerstag, 28. Oktober 2010

Es ist kein schlechtes Land

Zur Lage der Nation nach dem Nationalfeiertag: Bei allen Selbstzweifeln - Österreich steht verhältnismäßig gut da. Entscheidend ist, ob es so bleibt.

Versuchen wir es aus gegebenem Anlass einmal positiv: Das nun ausverhandelte Budget soll das gesamtstaatliche Defizit von derzeit 4,7 Prozent auf 3,2 Prozent im nächsten Jahr und 2,2 Prozent bis 2014 drücken. Großbritannien, dessen Regierung gerade ein Sparpaket beschlossen hat, das diesen Namen auch wirklich verdient, startet bei einem Budgetdefizit von zwölf Prozent. Nach Maastricht-Kriterien hat das Vereinigte Königreich einen Sanierungsbedarf von 146 Milliarden Euro, Österreich einen von fünf Milliarden Euro.
Das Land ist schön, die Bürger sind fleißig, der Rechtsstaat funktioniert: Eine dem Obersten Gerichtshof beigestellte Behörde hat soeben ungestraft das Urteil einer Richterin infrage gestellt, die heute Justizministerin ist. Und wer mit dem Versuch, sich dauerhaften Aufenthalt im Land zu erschwindeln, indem er das Asylrecht missbraucht, nach einem langen Instanzenzug scheitert, wird zu Recht gezwungen, das Land wieder zu verlassen.
Der Österreicher ist ein ambivalentes Wesen (aber wahrscheinlich sind das die Bürger anderer Nationen auch):
 Er neigt zu patriotischer Selbstüberhöhung, vor allem, wenn es die Erfolge anderer, etwa im Sport, zu feiern oder die landschaftlichen Vorzüge seiner Heimat zu rühmen gilt. Er kann sein Land und dessen politische Kaste aber auch verdammen - egal, ob er nun selbst politisch rechts oder links steht. Ersterer neigt zur Mieselsucht, Zweiterer zur Hysterie.

Wobei Kritik an sich notwendig ist, um Selbstgefälligkeit, Schlendrian und Machtmissbrauch entgegenzuwirken. Gerade beim Budget - ein Flickwerk, keine Verwaltungsreform, keine Einberechnung ausgelagerter Betriebe wie der ÖBB in die Staatsschulden - ist Kritik
angebracht. Aber auch nicht jede.

Die Kürzung der Familienbeihilfe sei "nicht zukunftsorientiert", meinte gestern etwa Wiens Erzbischof Christoph Schönborn. Das kann man auch anders sehen: Denn die 13. Familienbeihilfe, die nun deutlich reduziert wird, war 2008 eines jener Sinnlos-Wahlkampfzuckerln, die den Schuldenberg erhöhten. Und eine besondere Ironie der Geschichte: Damals wurden auch die Studiengebühren abgeschafft. Als es diese noch gab, demonstrierten die Studenten nicht, seit es sie nicht mehr gibt, begehren sie auf.
Auch die Beschränkung der Familienbeihilfe für Studenten auf 24 Jahre scheint zumutbar, zumal die Minister Hundstorfer und Mitterlehner nun klargestellt haben, dass der Bezug für jene, die Wehr- oder Zivildienst geleistet haben, um ein Jahr verlängert und auch die Mitversicherung mit den Eltern nicht an die Familienbeihilfe gekoppelt wird. Entscheidend ist jedoch die Frage, ob Österreich im internationalen Wettbewerb mithalten kann. Dafür sind eine schlanke Verwaltung, ein attraktiver Wirtschaftsstandort und gut ausgebildete Bürger nötig.
Dazu zählt auch die Integrierung der Zuwandererkinder, die sich nicht selten als bildungs- und aufstiegshungrig erweisen. Allerdings kann es - und das sprach gestern sogar der Bundespräsident an - "keine unbegrenzte, ungeregelte Migration" geben.

Auch die allgemeine Wehrpflicht steht einer modernen Gesellschaft entgegen. Junge Menschen werden für einige Monate dem Wirtschaftsleben entzogen beziehungsweise von ihrer Ausbildung abgehalten. Ein Zwangssystem, das junge Staatsbürger jedes Jahr daran
zweifeln lässt, ob sie wirklich in einem freien, demokratischen Land leben, wenn sie von einem Vorgesetzten mit einem Stern mehr am Revers wegen Nichtigkeiten niedergebrüllt werden. Aber auch hier gibt es eine gute Nachricht zum Nationalfeiertag:
Nachdem sie sich jahrzehntelang dagegen gewehrt hat, ist nun auch die SPÖ ernsthaft bereit, über Alternativen zur allgemeinen Wehrpflicht nachzudenken. Die ÖVP war hier schon einen Schritt weiter, ging zuletzt aber unverständlicherweise zwei Schritte zurück. Am Ende des Diskussionsprozesses sollte jedoch die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht stehen. Und dann könnte man sich gleich auch noch der letzten Lebenslüge der Republik, der Neutralität, annehmen. Österreich braucht zwar meist ein wenig länger. Aber am Ende wird dann doch alles gut. Hoffentlich.
Quelle: Leitartikel von Oliver Pink; diePresse am 27. Okt. 2010