Freitag, 13. August 2010

Vergiss die Bilder

Sanitäter erzählt von der Loveparade-Katastrophe

DORTMUND Holger Steffens war nicht als Sanitäter bei der Loveparade eingeplant. Als Medienbeauftragter sollte er Fotos vom Großeinsatz seiner Kollegen vom Arbeiter Samariter Bund (ASB) machen. Doch nach den ersten Fotos wurde ihm das Ausmaß der Katastrophe bewusst. Daniel Otto sprach mit Steffens über die traumatischen Erlebnisse.Herr Steffens, als Ihre Kollegen zum Einsatz gerufen wurden, was haben Sie da zuerst gedacht?

Ich dachte, cool, machste mal ein paar Einsatzbilder. Ich wusste nicht, dass es sich um einen MANV (Massenanfall von Verletzten) handelte. Doch als ich die Kamera mal runter genommen und mich umgesehen hatte, dachte ich: Vergiss die Bilder!

Wie haben Sie reagiert?

Ich habe die Kamera weggesteckt, mir einen Einsatzkoffer besorgt und mit der Versorgung der weniger schwer Verletzten begonnen, um die sich die Rettungskräfte nicht sofort kümmern konnten. Ich habe schon einige Großschadensfälle erlebt, aber das ... mich hat das Geballte umgehauen. Viele Einsatzkräfte haben mit Tränen in den Augen gearbeitet.

Wie kann man in so einer Situation ruhig bleiben?

Es gibt für solche Großschadenslagen oft bewährte Einsatzstrategien, nach denen gearbeitet wird und die immer wieder geübt werden. Es ging darum zu entscheiden, wer hat Hilfe am Nötigsten? Wer schreit und weint, der hat noch Zeit. Viele Einsatzkräfte waren zum ersten Mal bei einem Einsatz dieser Größenordnung dabei.

Wie geht man mit solchen Bildern um?

Man muss darüber sprechen und es auf gar keinen Fall verdrängen. Ich habe zuerst auch Verdrängungsmechanismen abgespult. Aber ich hatte immer wieder Flashbacks.

Sie haben die Bilder wieder gesehen?

Ja, die kommen einem immer wieder in den Kopf geschossen. Aber zum Beispiel auch, wenn ich zu Hause Schuhe nicht ordentlich abgestellt habe. Die Schuhe haben mich daran erinnert, im Tunnel lagen überall welche herum. Ich habe sie dann zu Hause paarweise nebeneinander gestellt. Dann ging es etwas besser.

Wie ging es weiter?

Am Montag danach gab es dann das erste längere Gespräch im Rahmen der PSNV (Psychosozialen Notfallversorgung), ein ganz tolles Gespräch. Ich habe mich an den Geschäftsführer des ASB Dortmund gewendet. Der hat mir sofort einen Ansprechpartner vermittelt. In dem Fall vom DRK. In solchen Fällen arbeitet man zusammen und es spielt keine Rolle, welches Emblem man auf der Jacke hat.

Sie sind seit 20 Jahren beim ASB. Was raten Sie unerfahrenen Kollegen?

Die professionelle Hilfe der PSNV ist unser Joker. Je schneller man damit anfängt, das Erlebte zu verarbeiten, desto besser. Wichtig ist, mit den Kollegen zu reden, sobald man Traumasymptome entwickelt. Für Helfer ist es das Wichtigste, die Geschehnisse zu akzeptieren und sich zu sagen: Wir haben größeres Leid vermieden und einen guten Job gemacht.
Quelle: Daniel Otto / halternerzeitung