Ein Gastkommentar von Fredy Mayer. Erschienen in der Tageszeitung "Die Presse" am 30. Juli 2010
Obwohl Zuwanderer hierzulande nicht gerade mit offenen Armen willkommen geheißen werden, wirbt nun auch die Regierung für sie. Begründung: „Mit dem Überalterungsprozess in Österreich und den wenigen Kindern, die es bei uns gibt, sind unsere Sozialsysteme von alleine nicht mehr tragfähig“ (Außenminister Spindelegger). Natürlich braucht Österreich Zuwanderung, vor allem qualifizierte. Aber die Demografie – der „Überalterungsprozess“ – ist dabei nicht das Problem. Entscheidend für die Finanzierbarkeit der Sozialsysteme mittels Steuern und Abgaben ist nämlich nicht das Verhältnis zwischen Alten und Jungen, sondern das Verhältnis zwischen tatsächlich Erwerbstätigen und Nicht-Aktiven (Kindern, Pensionisten).
Und da ist, wie man so sagt, noch Luft. Zunächst stimmen die Zahlen, mit denen gemeinhin Angst und Schrecken verbreitet wird, nicht. Zwar kommen heute auf einen Pensionisten vier Personen im erwerbsfähigen Alter (15 bis 65 Jahre). Bis zum Jahr 2050 soll sich dieses Verhältnis halbieren – die Belastung für Erwerbstätige also verdoppeln. Bloß sind schon heute längst nicht alle Personen im erwerbsfähigen Alter auch tatsächlich erwerbstätig. Das Verhältnis liegt heute schon eher bei 2,7 Erwerbstätigen pro Ruheständler. Dazu kommt, dass künftig eben wegen der niedrigen Geburtenraten weniger Kinder und Jugendliche aus dem Sozialprodukt zu versorgen sein werden. Und schließlich vernachlässigen die Schreckenszahlen den Produktivitätsfortschritt, der auch in der Vergangenheit bei gleichem Einsatz stets für ein höheres Produktionsergebnis gesorgt hat, das über die Sozialsysteme umverteilt werden kann. Nicht die „vielen Alten“, sondern die wenigen gut qualifizierten Erwerbstätigen sind also das Problem, und da kann man einiges tun. Der Wittgenstein-Preisträger und Demograf Wolfgang Lutz zeigt mit seinen Simulationen auf www.futuremonitor.at Möglichkeiten auf, wie die Zahl der Erwerbstätigen bis zum Jahr 2050 auf einem Niveau zu halten ist, das sowohl die Wirtschaftsleistung erhält als auch die Sozialsysteme krisenfest macht: Durch die Kombination aus der Anhebung des effektiven Pensionsantrittsalters um fünf Jahre mit der Angleichung der Frauenerwerbsquote an jene der Männer – und durch qualifizierte Zuwanderung. Die Simulationen zeigen auch: Zuwanderer alleine werden das Problem nicht lösen. Schon, weil nach dem Fall der Übergangsfristen für den österreichischen Arbeitsmarkt ab 2011 und 2014 endgültig nur mehr die Zuwanderung aus Drittstaaten steuerbar ist, aber nicht mehr jene aus den EU-Mitgliedsstaaten. Die „Rot-Weiß-Rot-Card“ kommt vierzig Jahre zu spät.
Um das Verhältnis zwischen tatsächlich Erwerbstätigen und Nicht-Aktiven in der Balance zu halten, sind daher eine ganze Reihe von Politikfeldern und Akteuren gefordert: Die Wirtschaftspolitik und die Wirtschaft selbst, um jenen Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer zu schaffen, der heute noch nicht in Sicht ist. Die Bildungspolitik, weil qualifizierte Arbeitnehmer produktiver und weniger oft arbeitslos sind. Und die Familienpolitik, denn eine höhere Frauenerwerbsquote erfordert die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Endlich fällt ein Tabu, und die Regierung behandelt Zuwanderer nicht mehr bloß als „Sicherheitsrisiko“. Ein Allheilmittel zur Erhaltung der Sozialsysteme ist Zuwanderung alleine trotzdem nicht.
Fredy Mayer ist Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes.