Dienstag, 26. Juli 2011

Erwachsene haben andere Bedürfnisse als Jugendliche

Die Rotkreuz-Psychologin Barbara Juen erklärt wie überlebenden Jugendlichen und angehörigen Erwachsene nach der Tragöide von Utoya geholfen werden kann.

Aus Ihrer Erfahrung heraus: Wie geht es den Überlebenden – mit welchen Gefühlen haben Sie zu kämpfen?
Allgemein nach Gewaltereignissen haben die Überlebenden mit Erinnerungen zu kämpfen. Bilder, Gerüche, Geräusche kommen wieder und lösen Angst aus. Auch Panikattacken, man bekommt keine Luft, hat das Gefühl, es ist wieder soweit, dass etwas passieren könnte. Wichtig ist der Umgang mit den Erinnerungen. Jugendliche und Kinder haben auch die gute Fähigkeit, abzuschalten und sich abzulenken. Die Gelegenheit das zu tun, hilft bei der Regeneration. Und natürlich kommt auch Trauer dazu.

Wie kann man am besten helfen?
Zunächst am Anfang ist es ganz wichtig, den Betroffenen die Informationen zu geben, die sie verlangen. Oft brauchen Überlebende Informationen über das Ereignis, damit sie sich ein Gesamtbild von den Vorgängen machen können, damit sie verstehen können. Sie brauchen auch Information über die Normalität ihrer Reaktionen, darüber was man tun kann, damit es besser geht. Sehr hilfreich sind auch Rituale im Umgang mit dem Tod und dem Verlust.

  
Was kann man für die Familien und Angehörigen der Opfer tun?
Erwachsene haben andere Bedürfnisse als Jugendliche.
Im Zentrum steht das Bedürfnis herauszufinden, was mit den Kindern passiert ist. Fragen wie hat mein Kind leiden müssen, wie konnte das passieren, hätten wir es verhindern können, warum haben wir unser Kind dort hingeschickt? Auf viele Warum-Fragen hat man keine Antwort, aber auf Faktenfragen versuchen wir ausführlich zu antworten.

Auf der Insel waren vor allem Kinder und Jugendliche diesem traumatischen Ereignis ausgesetzt. Was brauchen junge Menschen, um so einen Schock zu überwinden?
Jugendliche haben als Ansprechpartner ihre Altersgruppe. Sie bleiben gerne unter sich, dazu muss man ihnen Raum geben und bei Bedarf Ansprechpersonen bereit halten.

Krisenintervention gilt als erste Hilfe für die Seele – gibt es wie bei der körperlichen Hilfe auch im psychischen Bereich Standard-Maßnahmen in der ersten Zeit nach dem Ereignis?
Wir verfolgen da einen sehr pragmatischen Ansatz, der sich ganz nach den Bedürfnissen der Leute in solchen Situationen richtet: Die Menschen brauchen einen sicheren Ort, wo sie hingehen können und Informationen bekommen. Das haben die Kollegen in Norwegen gemacht. Das Gefühl der Verbundenheit ist da sehr stark und die gegenseitige Unterstützung.
Wichtig ist auch ein bisschen Distanz zu den Ereignissen zu bekommen. Sich abzulenken. Und etwas Positives für die Zukunft, in der Form, dass man noch etwas tun kann für die Opfer. Deshalb sind Gedenkfeiern, öffentliche Anteilnahme und Ansagen von öffentlichen Stellen, die Zusammenhalt signalisieren so wichtig.

Wie verläuft der Heilungsprozess bei Jugendlichen, bleiben sie ihr Leben lang traumatisiert?
Man muss da sehr sensibel sein. Die Überlebenden als traumatisierte, psychisch geschädigte Großgruppe zu bezeichnen, tut ihnen sicherlich unrecht. Die meisten Leute erholen sich nämlich mit Hilfe von psychosozialer Unterstützung aus ihrem Umfeld erstaunlich gut. In den ersten paar Wochen haben sie mit Erinnerungen zu kämpfen. Dann kommt es darauf an, schafft es die Person mit Unterstützung des sozialen Netzwerkes und vielleicht auch mit psychologischer Hilfe, den Alltag wieder zu bewältigen.
Je besser die psychosoziale Unterstützung durch Freunde, durch Hausärzte, durch Verwandte am Anfang funktioniert, desto besser gelingt die Bewältigung. Das Vertrauen in „professionelle“ Anlaufstellen ist wichtig, damit die Betroffenen auch hingehen, wenn sie Unterstützung brauchen. Oft hält sie die Angst davor, von dem Ereignis reden zu müssen, zurück. Aber kein vernünftiger Psychologe würde das verlangen. Es geht darum, den Alltag zu bewältigen. Und dabei Unterstützung zu bieten.
Quelle: Rotes Kreuz
Prof. Dr. Juen Barbara
  • Klinische- und Gesundheitspsychologin
  • Beschäftigt an der Universität Innsbruck, Institut für Psychologie seit 1990
  • Forschungsschwerpunkt: Akuttraumatisierung, speziell Kinder und Jugendliche
  • Verantwortlich für den Aufbau von Kriseninterventionsteams im Österr. Roten Kreuz
  • Fachliche Leiterin Psychosoziale Dienste im Österr. Roten Kreuz
  • Sprecherin des European Network for Psychosocial Support (ENPS) von 2005 bis 2010
  • Mitglied der roster group des IFRC Reference centre for Psychosocial support.
  • Felderfahrung in psychologischer Unterstützung nach Katastrophen und Großschadensereignisse und Krisenintervention im Alltag wie nach Autounfällen oder dem Tod von Kindern.