Dienstag, 4. Januar 2011

chouragiert

ALKOVEN. Jasmin Stadler aus Polsing bei Alkoven streckt zur Begrüßung die rechte Hand hin und lächelt. Klein und zart ist diese Hand, die Finger fehlen. Mit dieser Hand kämpft sie – gegen Vorurteile und um einen Job. Die OÖNachrichten lernten im Interview eine starke 15-Jährige kennen.
OÖN: Jasmin, ist es in Ordnung, wenn wir im Gespräch Du zueinander sagen?

Jasmin: Sicherlich, das ist gemütlicher.

OÖN: Die Begrüßung hat mich beeindruckt. So ganz selbstverständlich reichst Du die rechte Hand. Das macht es mir leicht, danach zu fragen, warum die Finger fehlen.

Jasmin: Ich bin so geboren. Ich kenne es nicht anders. Ich könnte mir das Leben mit zehn Fingern gar nicht vorstellen. Aber so viele andere haben ein Problem damit. Sie schauen blöd. Manchmal zeigen sogar Erwachsene mit dem Finger auf mich und sagen: „He, die hat keine Finger.“ Das tut weh.
OÖN: Und wie gehst Du damit um?

Jasmin: Wer damit nicht umgehen kann, soll sich einfach umdrehen und gehen. Wenn mich wer nach der Hand fragt, habe ich kein Problem damit, aber viele trauen sich nicht. Ich will so genommen werden, wie ich bin.

OÖN: Wer bist Du, was macht Dich so stark?

Jasmin: Wenn ich etwas will, dann schaffe ich es. Das ist schon immer meine Devise. Als wir das Schuhbänderbinden im Kindergarten gelernt haben, habe ich das nach ein paar Versuchen können. Als ich ohne Stützräder fahren wollte, und die Mama gesagt hat: „Lass Dir Zeit“, habe ich nicht hingehört und so lange probiert, dass ich noch am selben Tag ohne Stützräder Radfahren konnte. Aber bei der Radfahrprüfung, da gab es Probleme.

OÖN: Bist Du durchgefallen?

Jasmin: Grad nicht, die Fragen habe ich zu hundert Prozent können. Aber beim Linksabbiegen hat es gehapert. Wenn ich mit der Linken Handzeichen gebe, kann ich ja mit der Rechten ohne Finger die Lenkstange nicht halten. Aber das Problem ist gelöst – mit einer Prothese mit einem kleinen Haken dran. Mopedfahren kann ich nicht. Aber dem Autofahren steht dann wieder nichts im Wege.

OÖN: Seit einem Jahr suchst Du Arbeit, hast Dutzende Bewerbungen geschrieben. Welche Steine, liegen Dir da im Weg?

Jasmin: Ich wollte nach dem Poly so gerne Kindergärtnerin werden. Ich habe ein Gespür für Kinder, beim Schnuppern im Kindergarten habe ich mit ihnen Sterne gebastelt. Ich glaube, ich kann ein Vorbild für die Kleinen sein. Nach der Devise, wenn sie es mit fünf Fingern kann, kann ich es mit zehn auch.

OÖN: Und warum ist daraus nichts geworden?

Jasmin: Die haben in der Kindergartenschule gesagt, eine Pädagogin muss Flöte und Gitarre spielen. Und noch was ganz Gemeines: Einer mit einem Klumpfuß könne ja auch kein Baletttänzer werden. Ich lasse mir meinen Spaß im Leben nicht schnell vertun, aber da habe ich beim Heimfahren im Auto geweint. Ich bin doch mit meinen fünf Fingern geschickter als so mancher andere. Die Menschen haben so viele Vorurteile.

OÖN: Welche Vorurteile denn noch?

Jasmin: Beim Land habe ich mich als Pressefotografin beworben und die haben geglaubt, ich kann nicht einmal eine Kamera halten. Auch einige andere Versuche, Fotografin zu werden, sind gescheitert, in einem Fall aber nur, weil ich im Unterschied zu einer anderen Bewerberin zu weit weg wohne, um in zwei Filialen eingesetzt zu werden. In einer Apotheke habe ich geschnuppert, aber sie haben grad keinen Lehrling gebraucht. Auch das mit der Bankkauffrau ist nichts geworden. Und ich habe gedacht, es wäre leicht für mich einen Job zu bekommen, weil ein Lehrherr ja 200 Euro Förderung bekommt, wenn er jemanden mit 50-prozentiger Behinderung nimmt.

OÖN: Wenn Du Dir für das neue Jahr und zu Deinem Geburtstag am 4. Jänner von einer guten Fee einen Job wünschen könntest, welcher wäre das?

Jasmin: Ich möchte so gern Fotografin werden. Ich liebe es, kreativ zu sein, mit Menschen zu arbeiten. Ich will mich nicht in einem Büro verstecken. Ich würde mich so freuen, wenn sich jemand melden würde. der mir diesen Traum erfüllt.

OÖN: Also voll durchstarten, ohne Frust ins Jahr 2011.

Jasmin: Sicher. Ich habe viel durchgemacht, aber auch viele nette Leute kennengelernt. Derzeit mache ich über das Wifi einen Berufs-Orientierungskurs, frische mein Englisch, Deutsch und Mathematik auf. Jetzt muss es einfach bergauf gehen.