von Herbert Geyer
Nehmen wir an, es gäbe sie nicht, und wir würden jetzt über die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht diskutieren. Also darüber, dass sich der Staat das Recht herausnimmt, alljährlich eine bestimmte Gruppe der Bevölkerung – z.B. alle männlichen Bürger eines bestimmten Jahrganges (das aber nochmals eingeschränkt auf jene mit österreichischer Staatsbürgerschaft) – mehr oder weniger entschädigungslos aus Beruf bzw. Ausbildung herauszureißen und sie für bestimmte Aufgaben einzusetzen, die mehr oder weniger im öffentlichen Interesse sind.
Die Diskussion wäre rasch beeendet, weil dieser Vorschlag so ziemlich allen Prinzipien einer modernen europäischen Verfassung widerspricht:
Er kollidiert mit der Menschenrechtskonvention, die Sklaven-oder Zwangsarbeit verbietet, er verstößt gleich mehrfach gegen das Gleichheitsgebot, weil er einerseits nur junge Männer verpflichtet, andererseits aber auch unter ihnen nur jene, die aus relativ willkürlich festgesetzten Gründen für genau einen der ins Auge gefassten Dienste für geeignet erklärt werden – wem es gelingt, wegen Plattfüßen oder anderen körperlichen oder geistigen Mängeln für den Dienst beim Heer für untauglich erklärt zu werden, der wird ja nicht für andere Aufgaben herangezogen, für die er vielleicht durchaus geeignet wäre, sondern bleibt gänzlich ungeschoren. Und schließlich würde das ganz auch verworfen, weil es EU-Recht widerspräche, eine solche Verpflichtung von der Staatsbürgerschaft abhängig zu machen.
Ganz abgesehen von den volkswirtschaftlichen Kosten: Einen ganzen Jahrgang junger Männer aus Beruf oder Ausbildung herauszureißen, um sie dann unabhängig von ihrer Qualifikation für Tätigkeiten einzusetzen, für die sie zumeist über-, sonst aber jedenfalls unqualifiziert sind, ist so weit von jeder wirtschaftlichen Vernunft entfernt, dass darüber wirklich nicht näher diskutiert werden müsste.
Vielleicht sähe die Diskussion etwas anders aus, wenn es gelänge, einen solchen Dienst als zwingend nötig darzustellen, um eine existenzielle Bedrohung des Gemeinwesens abzuwenden - etwa einen Kometen-Impact oder eine Invasion Außerirdischer. Dann hätte dieser Vorschlag zumindest eine kleine Chance, ins Auge gefasst zu werden – natürlich unter Bereinigung der gröbsten Gleichheitswidrigkeiten.
Es fällt auf, dass in der aktuelle Diskussion diese allein entscheidende Frage nicht einmal andiskutiert wird: Welche existenzielle Bedrohung des Gemeinwesens könnte denn derzeit einen solchen massiven Eingriff in die Menschen- und Bürgerrechte rechtfertigen? Ein möglicher Angriff der bekannt aggressiven Armeen von Schweiz oder Liechtenstein? Tatsächlich Außerirdische? Die Notwendigkeit der Verteidigung von Grenzen zu unseren EU-Nachbarn kann es ja nicht sein – diese Grenzen werden ja schon jetzt nicht einmal mehr kontrolliert. Selbst ein möglicher Angriff von weiter draußen könnte ein Außerkraftsetzen der Menschen- und Bürgerrechte nicht rechtfertigen: Der Angreifer müsste dazu ja einen oder mehrere EU- und Nato-Staaten durchqueren und würde, bevor bei uns der Verteidigungsfall eintritt, bereits einen Nato-Bündnisfall auslösen.
Mangels eines nachvollziehbaren Bedrohungsbildes wird ja derzeit fast ausschließlich über Aspekte der Wehrpflicht diskutiert, die bestenfalls als Windfall Profit dieser Verpflichtung gelten können: über kostenlose Mitarbeiter für die Kranken- und Altenpflege bzw. die Rettung (wo bis zur Einführung des Zivildienstets in den 1970ern selbstverständlich Personal zu Marktkonditionen beschäftigt wurde), über die Notwendigkeit eines Katastrophenschutzes (der sich durch eine bessere Dotierung und Absicherung der Feuerwehren sicher billiger organisieren ließe), über die Auslandseinsätze des Heeres (bei denen es sich überwiegend um Polizei-Einsätze handelt, die folglich auch von Polizisten erledigt werden könnten), neuerdings sogar über das Heer als Mittel zu Integration, durch das Alt- und Neubürger zusammengeschweißt werden sollen (wobei aber gerade Zuwanderer ohne österreichische Staatsbürgerschaft ausgeschlossen bleiben).
Bis zum Ende des Kalten Krieges war der Wehrpflicht eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen, weil da ein Angriff auf die Souveränität des Staates tatsächlich denkmöglich war. Schon damals hätte man natürlich überlegen müssen, ob einem solchen Angriff mit den vorhandenen Mitteln mit zumindest theoretischen Aussichten auf Erfolg begegnet werden könnte – oder ob für die Abgabe des symbolischen Schusses zur Verteidigung, mit dem später die Nicht-Freiwilligkeit der Unterwerfung argumentiert werden kann, nicht auch eine kleine Berufstruppe ausgereicht hätte.
Bis 1989 (oder spätestens 1995, dem Ende der Jugoslawien-Kriege) wäre eine Wehrpflicht-Debatte also noch durchaus sinnvoll gewesen. Und ich wäre damals wahscheinlich sogar noch für die Beibehaltung der Wehrpflicht eingetreten: Weil ich acht Monate beim Heer verbracht habe und dort eine repräsentative Auswahl jener Menschen kennengelernt habe, die sich freiwillig zum Dienst in einem Heer melden – den meisten davon würde ich keine Waffe in die Hand drücken wollen.
2013 aber gibt es keinen vernünftigen Grund mehr, über Wehrpflicht oder Berufsheer nachzudenken. Jetzt kann die Frage nur noch lauten: Gibt es irgendetwas, was die Ausgaben für ein Heer – wie immer es dann organisiert sein mag – rechtfertigen kann?
Und die Antwort ist nein.
Quelle: Wirtschaftsblatt.at
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