Millionen Syrer sind auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen, aber das Ausliefern von Essenspaketen ist hochgefährlich. Der Krieg werde immer brutaler, berichtet ein Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes. Dennoch melden sich viele Freiwillige, um die Not zumindest etwas zu lindern.
Berlin - Ohne Improvisation geht es in Syrien nicht. Wer den Menschen Lebensmittelpakete liefern will, muss flexibel sein, ständig neu planen. "Es kann passieren, dass die Hilfsarbeiter plötzlich alles schnell wieder zusammenpacken müssen, weil zwei Straßenblöcke weiter erneut Kampfhandlungen einsetzen", sagt der Österreicher Alfredo Melgarejo SPIEGEL ONLINE. Können die Helfer weiterarbeiten, werden die bedürftigen Familien schnell etwa per SMS-Kette informiert.
Melgarejo ist vor wenigen Tagen aus Syrien zurückgekehrt. Sechs Monate war er für das Deutsche Rote Kreuz dort, um der Partnerorganisation, dem syrischen Roten Halbmond, bei der Logistik zu helfen.
Damaskus beschränkt den Zugang für internationale Hilfsorganisationen stark, so dass alle - auch die Uno - ihre Lebensmittelpakete und Medikamente über den syrischen Roten Halbmond ausliefern. Für die Organisation sind das 350.000 Pakete im Monat - eine Riesenaufgabe.
Warnung aus Jordanien
"Mindestens 2,5 Millionen Menschen sind auf direkte, regelmäßige Nahrungsmittellieferungen in Syrien angewiesen", sagt Melgarejo - und das bei einer Bevölkerung von rund 23 Millionen. Über eine Million Syrer sollen inzwischen als Flüchtlinge in den Nachbarstaaten sein, Tendenz rasant steigend.
Allein ins südliche Nachbarland Jordanien sind seit Beginn des Monats mehr als 30.000 Syrer geflohen - das sind fast doppelt so viele wie im bisherigen Rekordmonat Dezember. Damals gab es insgesamt 16.400 Flüchtlinge. In Syriens Süden toben seit einigen Wochen erbitterte Kämpfe. Jordaniens Regierung warnte bereits, dass es im äußersten Falle die Grenze schließen werde, sollte Syrien im "Chaos" versinken.
"Überall könnten Scharfschützen sitzen"
Weil es immer riskanter wird über Land Hilfslieferungen von Jordanien nach Damaskus zu bringen, muss auch der Rote Halbmond sich umorganisieren. Die wichtigste Logistik-Basis soll von Damaskus nach Tartus verlegt werden. Die Küstenstadt mit Hafen ist auch vom Libanon aus noch problemlos erreichbar.
In Syrien sind wegen des Krieges manche Dörfer und Städte komplett verlassen. Als der Rotes-Kreuz-Mitarbeiter Melgarejo durch den Damaskus-Vorort Harasta fuhr, fühlte er sich wie in einer Geisterstadt. Harasta galt als Rebellenhochburg und wurde immer wieder von den Regierungssoldaten bombardiert. "Man sieht keine Menschenseele. Die Rollläden sind unten. Manche Häuser sind mit Brettern verrammelt, manche Fenster eingeschlagen. Und man weiß: Überall könnten Scharfschützen sitzen", erzählt er. Von manchen Häusern seien nur noch Schutthaufen übrig, so Melgarejo.
Die Arbeit der Helfer ist gefährlich. 18 Mitarbeiter des syrischen Roten Halbmonds sind seit Beginn des Syrien-Konflikts beim Einsatz ums Leben gekommen oder gelten als verschwunden. Auch außerhalb der Arbeit kann es jeden treffen - von beiden Seiten. Einer der leitenden Mitarbeiter des Roten Halbmonds verlor sein Haus, als ein Regime-Geschoss einschlug. Ein anderer hatte sein Zuhause für zwei Tage verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Als er zurückkam, hatten es Rebellen übernommen.
Ständig in Alarmbereitschaft
Dennoch stellen sich viele freiwillig für den riskanten Job zur Verfügung - junge Syrer, die ihren Mitmenschen helfen wollen. "Die massive Solidarität hat mich beeindruckt", sagt Melgarejo. "Auch Leute, die selbst geflohen sind, in Notunterkünften leben und ihren Job verloren haben, melden sich bei uns und fragen: Was können wir tun? Was können wir Sinnvolles machen?"
Viele Freiwillige übernachten sogar in den Büros des syrischen Roten Halbmonds, die im Land verteilt sind. Sie wollen jederzeit bereitstehen, sollte eine Hilfslieferung eintreffen und verteilt werden können. Die Fahrten durch das umkämpfte Land werden für die Konvois immer schwieriger und unsicherer.
Dass die Kämpfe bald vorbei sein könnten, glaubt Melgerajo nicht. "Es ist ein andauerndes Hin-und-Her-Schwappen der Machtverhältnisse", sagt er. "An einem Tag ist es völlig ruhig, und dann geht es wieder los - das macht es auch für die Flüchtlinge so schwierig. Plötzlich sind sie wieder in einer Konfliktzone." Auffällig sei, dass der Krieg mit immer stärkerer Brutalität geführt werde. Die Uno prangerte zuletzt immer wieder Menschenrechtsverletzungen an, sowohl von Regierungstruppen als auch von Rebellen. Melgerajo vom Deutschen Roten Kreuz fordert deshalb: "Die Zivilbevölkerung muss zu jeder Zeit geschützt werden."
Quelle:
Bild: AFP
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