Donnerstag, 10. Juli 2014

"Man hätte sie vielleicht mal berühren können"

"Das ist schon ein sehr, sehr außergewöhnlicher Fall - die Ausnahme von der Ausnahme von der Ausnahme", so Bernd Gerberding, Geschäftsführer des DRK Rettungsdienstes im Landkreis Schaumburg gegenüber NDR.de. Ein Rettungsassistent und ein Rettungssanitäter des DRK haben am Montagabend in Stadthagen irrtümlich angenommen, dass eine 79-jährige Frau verstorben ist. Zusammen mit der Polizei sahen sie die Seniorin offensichtlich leblos auf dem Boden ihres Schlafzimmers liegen. Die beiden Rettungskräfte hielten sie für tot und zogen ab - ohne die Frau überhaupt zu berühren. Als ein Polizist kurz darauf den Körper der Frau umdrehen wollte, um wegen möglicher Spuren Fotos zu machen, bewegte die Seniorin plötzlich ihren Arm. "Dem Kollegen standen vor Schreck die Haare zu Berge", sagte ein Sprecher der Polizei.

Seniorin lag offenbar tagelang in der Wohnung

Nachbarn der 79-Jährigen hatten am Montag bei der Polizei angerufen, weil sie die Seniorin schon seit Tagen nicht gesehen hatten. Ihr Briefkasten quoll über, in der Wohnung brannte Dauerlicht. Neben dem Streifenwagen machten sich auch ein Rettungswagen mit zwei Sanitätern, sowie ein Notarzt auf den Weg. Die Polizisten und der Schlüsseldienst waren bereits vor Ort, als die beiden Rettungskräfte eintrafen. Im Briefkästen hätten sieben Tageszeitungen gelegen, so DRK-Geschäftsführer Gerberding. "Damit war auszugehen, dass die Patientin schon sieben Tage in der Wohnung liegt."

"Eindeutiges Gesamtbild" für Sanitäter und Polizisten

In der Wohnung habe sich dann für alle Anwesenden ein "eindeutiges Gesamtbild" ergeben, so Gerberding. Der Gesamteindruck von Wohnung und Patientin habe allen Beteiligten vor Ort sofort den Eindruck vermittelt, dass die Frau verstorben war. Details zu diesem Eindruck kann der DRK-Geschäftsführer nicht nennen - wegen der Persönlichkeitsrechte der Frau und der Schweigepflicht. "Es gibt bestimmte Anzeichen, die einen Rettungsassistenten dazu berechtigen nichts zu tun", so Gerberding. Zudem hätten die Mitarbeiter gewusst, dass der Notarzt jeden Moment eintreffen musste. Die Rettungskräfte fuhren also wieder weg, wurden dann aber nach zwei Minuten von dem erschrockenen Polizisten wieder zurückgerufen. Nach etwa einer weiteren Minute seien sie dann wieder am Einsatzort gewesen, kurz darauf sei der Notarzt eingetroffen. Im Anschluss wurde die Frau ins Mindener Krankenhaus gebracht. Sie liege weiterhin auf der Intensivstation, so Polizeisprecher Axel Bergmann am Donnerstag. Zum genauen Gesundheitszustand machte der Sprecher dagegen keine Angaben.

"Man hätte sie vielleicht mal berühren können"

"Wir gehen ganz offen und kritisch mit der Sache um", erklärt Gerberding gegenüber NDR.de. "Ich kann unseren Mitarbeitern nichts vorwerfen, weil ich Details aus dem Vorfall kenne." Die Kollegen seien nun sensibilisiert, man werde auch in weiteren Fortbildungen Lehren aus dem Fall ziehen. "Man hätte die Frau unter Umständen vielleicht mal berühren können", räumt der Geschäftsführer ein. Dennoch sei es auch seine Aufgabe, die Mitarbeiter jetzt wieder aufzubauen: "Sie können sich vorstellen, wie die sich fühlen." Gerberding weist daraufhin, dass seine Mitarbeiter 35.000 Einsätze im Landkreis haben, an ihre Grenzen gehen um Menschenleben retten. Zudem sei es wichtig, dass nur der Notarzt den Tod der Frau hätte feststellen können. Man dürfe in dem Fall nicht mit den Urängsten in der Bevölkerung spielen, dass man irgendwann in den Sarg komme und klopfen müsse.

Aufgrund der Berichterstattung in der Presse hat die Staatsanwaltschaft Bückeburg Vorermittlungen eingeleitet, "um zu überprüfen, ob ein Anfangsverdacht wegen Fahrlässigkeit besteht", so ein Sprecher der Behörde gegenüber NDR.de. Zurzeit warte man noch auf den Abschlussbericht der Polizei.
Quelle: NDR

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