Samstag, 16. März 2013

Leben im Bürgerkrieg

Ein Blick nach Syrien aus erster Hand: Im Gespräch mit Max Santner, Leiter der Internationalen Zusammenarbeit im Österreichischen Roten Kreuz.

Warum sind Sie nach Syrien gereist?

Max Santner: Für mich war es notwendig die aktuelle humanitäre Situation in Syrien mit eigenen Augen zu sehen, Gespräche mit Mitarbeitern des IKRK, des Syrisch Arabischen Halbmondes und der Föderation der Rotkreuz-Gesellschaften zu führen, den Bedarf an weiteren Hilfsmaßnahmen abzuschätzen und ganz konkret zu überlegen, wie wir als Österreichisches Rotes Kreuz einen Beitrag leisten können. Es gab auch ein Gespräch mit der Botschafterin für Syrien in Beirut.


Wohin führte Sie Ihre Reise konkret?

Santner: Aus sicherheitstechnischen Gründen beschränkte sich mein Aufenthalt auf die Strecke Beirut - Damaskus und die so genannte 'green zone' in Damaskus. Alles andere wäre zu gefährlich gewesen.

Welche Eindrücke haben Sie gewonnen?

Santner: Das Leben in Damaskus ist von einem Nebeneinander der Extreme geprägt: Auf der einen Seite gibt es so etwas wie eine Kriegsnormalität, das heißt die Menschen haben sich mit der Situation arrangiert - viele arbeiten im informellen Sektor, verkaufen second-hand Waren und Lebensmittel auf der Straße. Massiv befestigte Regierungs- und Verwaltungsgebäude, verlassene Geschäftslokale, heruntergelassene Rollläden und verwaiste Hotels prägen das Bild im Zentrum der Stadt. Auf der anderen Seite gibt es apokalyptische Zustände - außerhalb der so genannten 'ringroad' ist Damaskus schwer vom Bürgerkrieg gezeichnet: Zerschossene Häuser, kein Strom, kein Wasser. Bedrohlich wirkt das ständige Donnergrollen der Geschütze: Von Stellungen nördlich der Stadt werden die von der Opposition besetzten Stadtteile regelmäßig unter Beschuss genommen.


Wie geht es den Helfern in der Region?

Santner: Insgesamt sind um die 9.000 Helfer des Syrisch Arabischen Halbmondes im Einsatz. Sie arbeiten oft unter Lebensgefahr. Seit Ausbruch des Bürgerkrieges sind offiziell zwölf Helfer umgekommen, die inoffiziellen Zahlen sind viel höher. Weitere 24 Helfer sind in Haft, weil sie die Namen von Verletzten nicht preisgeben wollten.


Interveniert die Politik bei den Helfern?

Santner: Es ist Alltag, dass humanitäre Hilfe politisch instrumentalisiert wird. Die Helfer müssen mit vielen Seiten verhandeln um Zugang zu den Hilfsbedürftigen zu erhalten – und werden dabei „von beiden Seiten“ behindert. Allein in und rund um Alleppo gibt es angeblich um die 62 Gruppierungen, mit denen im Extremfall einzeln verhandelt werden muss, wieweit ein Zugang zu den Konfliktbetroffenen möglich ist.

Hatten Sie die Chance mit einem Mitarbeiter des Arabischen Roten Halbmondes zu sprechen?

Santner: Ich konnte mit mehreren Helfern sprechen. Besonders beeindruckt hat mich eine Geschichte eines Mitarbeiters im Sanitätsdienst bezüglich eines Einsatzes im Dezember 2012. Die Bombardierung des Palästinenserquartiers Yarmouk (Süden Damaskus) durch die syrischen Luftstreitkräfte forderte mehrere Menschenleben. Viele weitere wurden verwundet. Bei der Anfahrt mit dem Rettungswagen kamen er und seine Kollegen zwischen die Fronten. Er stieg aus, gab sich als Roter Halbmond-Mitarbeiter zu erkennen und konnte tatsächlich einen kurzen Waffenstillstand ausverhandeln. Kaum waren die Helfer mit den Verletzten aus der Gefahrenzone, ging die Schießerei weiter.

Haben Sie den Helfer gefragt warum er das Land nicht verlässt?

Santner: Ja, das habe ich. Er hat nur gemeint, dass er jenen Menschen in seinem Land, denen es schlechter geht als ihm, helfen möchte. Dann fügte er hinzu: Das muss ich aber jeden Abend immer wieder meiner Mutter aufs Neue erklären...

Sie kennen viele humanitäre Krisenherde. Was ist das Spezielle an Syrien?

Santner: Die traurige Besonderheit der gesamten Region ist, wie lange die Flüchtlingsthematik andauert und welche Menschenmassen fliehen mussten. Palästina, Iran, Irak, Libanon, Jordanien – und eben Syrien: die ganze Region ist über Jahrzehnte von Krieg und Vertreibung geprägt. Millionen von Menschen sind auf der Flucht und es ist kein Ende in Sicht.

Wie wird es in den nächsten Monaten Ihrer Einschätzung nach weitergehen?

Santner: Neben den politischen und militärischen Fragen entscheidet aktuell die nächste Ernte die Zukunft vieler Tausender Menschen. Die große Frage ist: Kann jetzt ausgesät werden? Wenn nicht, droht in rund sechs Monaten ein massives Versorgungsproblem! Die humanitäre Lage in Syrien wird sich meiner Sicht nach auch in den kommenden Monaten nicht entschärfen.

Welche Hilfsgüter werden momentan besonders dringend benötigt?

Santner: Die betroffene Zivilbevölkerung in Syrien - das sind rund vier Millionen Menschen - braucht neben Treibstoff und Unterstützung bei der medizinischen Versorgung zunehmend zusätzliche Nahrungsmittel und ganz generell Güter des täglichen Bedarfs, das heißt Bekleidung, Hygieneartikel, etc.
Quelle: Rotes Kreuz
Spenden für Syrien

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