Die Suche nach dem Landarzt
Ländliche Regionen ohne Hausarzt? "Die Presse am Sonntag" suchte - und fand - Mediziner zwischen Krankenscheinrealität, Idyll, Herausforderungen und aufatmenden Gemeindepolitikern.
Haibach ob der Donau, 45 Kilometer von Linz entfernt in Richtung
Passau, hat das zuletzt selbst erlebt. Monatelang hat die Suche nach
einem Nachfolger für den nach 30 Jahren in den Ruhestand tretenden
Gemeindearzt Herbert Wakolbinger gedauert. Der 1300-Einwohner-Ort im
Bezirk Eferding kann mit viel frischer Luft, lieblichen landschaftlichen
Reizen und Einkehrstationen für die vielen Radfahrer auf dem
Donauradweg aufwarten. Damit wird man allerdings noch nicht automatisch
zum Anziehungspunkt für ausgebildete Mediziner.
Zwei
Ausschreibungen, kein Anwärter. Jetzt, im dritten Anlauf, hat es erst
vor Kurzem geklappt. Dabei dürfte eine Rolle gespielt haben, dass der
Neue nun keine Ablöse für die Räumlichkeiten zu leisten hat. „Jetzt ist
der Übergang nahtlos, Gott sei Dank“, atmet Bürgermeister Franz Straßl
auf: „Da haben wir a Masn g'habt.“
Der künftige
Gemeindearzt Thomas Bruckner kommt aus dem Krankenhaus in Wels. Nach der
aufreibenden Tätigkeit in der Spitalsambulanz habe er, so wird
zumindest in Haibach berichtet, bewusst einen Wechsel in eine kleine
Praxis angestrebt. Bei der Suche nach einer Wohnung wird die Gemeinde
dem gebürtigen Welser in seiner neuen Heimat behilflich sein.
Längerfristig wird ein Baugrund ins Auge gefasst. Das nährt die
Hoffnung, der Haibacher Patienten, dass sie ihren Hausarzt wieder für
einen längeren Zeitraum haben werden.
Die beiden jungen Buben rutschen auf den Beinen ihrer Mutter herum, bis sie alle wenig später vom Vater abgeholt werden. Es ist knapp nach 12.30Uhr. Die Ordination von Doktor Astrid Hofbauer an der einen Ecke des schmucken Marktplatzes von Zwettl an der Rodl 20 Kilometer nördlich von Linz im zentralen Mühlviertel ist an diesem Tag offiziell seit 11.30 Uhr geschlossen. Dienstschluss ist in der Praxis der Gemeindeärztin aber noch lange nicht.
Die letzten Patienten warten im hellen Wartezimmer – einer früheren Schlecker-Filiale – vor den beiden Räumen mit den Aufschriften „Ordination 1 und 2“. Die Ordinationsassistentin tritt ins Behandlungszimmer: Eine Patientin sei für die Frau Doktor am Telefon, weil sie sich bei einer Medikation nicht sicher ist.
Astrid Hofbauer ist seit Anfang April in der knapp 1800 Einwohner zählenden Marktgemeinde, wo rundum wuchtige Bauernhöfe inmitten von Hügeln gemütlich liegen, Gemeindeärztin. Die frühere Stationsärztin im Linzer AKH hat nach der Geburt ihrer zwei Kinder Jan und Marie mit 39 Jahren den Wechsel in diese Landarztpraxis vollzogen. Die Ecke mit den bunten Kinderzeichnungen vermittelt, dass schon ein Monat „Betrieb“ herrscht. Dass dies aber noch nicht seit Ewigkeiten der Fall ist, davon zeugt, dass außer der lokalen Tageszeitung und einem guten Dutzend Gesundheitsbroschüren keine mehrere Wochen alten, abgegriffenen Zeitschriften aufliegen.
Die „Neue“ ist – fast – eine Einheimische: Vier Kilometer entfernt in Waxenberg ist sie geboren, gut 20 Kilometer weg wohnt sie mit ihrem Lebensgefährten und den beiden kleinen Kindern, Schwester Birgit ist seit 20 Jahren in Zwettl daheim. Das ist auch schon eine Erklärung, warum sich Hofbauer während ihrer Karenz nach dem zweiten Baby für die Stelle entschieden hat. Denn bundesweit warnt die Ärztekammer bedrohlich vor einem „Sterben“ der Landärzte: Es gebe immer weniger Bewerber, viele Stellen müssten mehrfach ausgeschrieben werden, klagt der Präsident der österreichischen Ärztekammer Artur Wechselberger.
Abwechslung. „Eine Praxis war immer im Hinterkopf“, sagt Hofbauer, die ein paar Monate von ihrer Vorgängerin Hanna Schneitler in dieses berufliche Abenteuer begleitet wurde. Früher als Stationsärztin war Hofbauer „viel für Bürokratie“ zuständig, für Dokumentation und Arztbriefe. Mitentscheidend, den Schritt in eine eigene Ordination zu wagen, war nicht nur die Geburt ihres zweiten Kindes, sondern auch, dass im Krankenhaus in Linz aus dem gewünschten Posten nichts geworden ist. Bereut hat sie das vorerst nicht – im Gegenteil. Die Tätigkeit sei „extrem abwechslungsreich“: „In der Stadt sind alle gleich im Unfallkrankenhaus.“ Dass sie sich jetzt auch um wirtschaftliche Belange kümmern müsse, ist ihr ausdrücklich willkommen.
Die Standesvertreter beklagen oft, das Honorarsystem sei zu wenig leistungsgerecht und damit zu wenig attraktiv. So mancher Bewerber zieht – nicht nur in Oberösterreich – wegen der größeren Zahl an Patienten eine Niederlassung in einem Ballungsraum einer Landpraxis vor. Patienten bedeuten im heimischen Krankenversicherungssystem Krankenscheine. Diese sind de facto der Maßstab für die Größe einer Praxis. Mit rund 600 „Scheinen“ zählt die Praxis in Zwettl zu den kleineren, bei größeren Praxen in der Stadt ist es gut das Dreifache, also rund 2000 „Scheine“. Der neuen Zwettler Ärztin ist die kleinere Variante ganz recht.
Eines gibt sie jedoch zu: Dass sie wie zahlreiche andere Ärzte in ländlichen Regionen eine Hausapotheke als „zweite Einkommensquelle“ führen kann, „ist schon ein Riesenvorteil“. Solche Hausapotheken dürfen nur dort betrieben werden, wo der Weg in eine „reguläre“ Apotheke zu weit wäre. Diese Hausapotheken sind jedenfalls ein spezieller Anreiz, um junge Ärzte aufs Land zu locken, wird auch in anderen Kommunen berichtet.
Die Abwechslung, von der Behandlung von Kindern über die Wundversorgung bis zum Bluthochdruck mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert zu sein, ist auch für Stefan Haselbruner aus Frankenmarkt im Bezirk Vöcklabruck das Interessante am Hausarztberuf. Schon sein Vater war praktischer Arzt. Er selbst entschied sich erst im letzten Drittel des Medizinstudiums dafür, nachdem er eine HTL besucht hatte und erst mit 15, 16 Jahren ernsthaft ans Medizinstudieren gedacht hatte.
Steine auf dem Berufsweg. Der inzwischen 33-Jährige nimmt sich auch kein Blatt vor den Mund, wenn er sich beklagt, wie sehr Jungmediziner von politischer Seite und auch von der Ärztekammer „Steine in den Weg gelegt“ werden. Dies beginne schon damit, dass bei der Übernahme einer Praxis eine Ablöse zu zahlen sei: „Das ist eigentlich skandalös.“ Drei Jahre lang war er mit seinem Vater in einer Gruppenarztpraxis tätig. Während dieser Phase war die Zahl der Patienten „eingefroren“, für mehr Patienten habe man im Jahr sogar 1500 bis 2000 Euro zurückerstatten müssen, sei praktisch also bestraft worden.
Haselbruner wundert es daher überhaupt nicht, dass es teilweise Monate dauert, bis sich für bestimmte Hausarztpraxen Nachwuchs findet. Dazu komme, dass bestimmte Leistungen dann nur beispielsweise zehnmal von der Kasse vergütet werden. Kommt ein elfter Patient, der dieselbe Behandlung braucht, erfolgt diese von Arztseite „kostenlos“.
Die Aussicht, von den Patienten in der Gemeinde praktisch Tag und Nacht vereinnahmt zu werden, schreckt offenbar ebenfalls gar nicht so wenige Mediziner vom Gang in eine Landpraxis ab. Andrea Wesenauer, Generaldirektorin der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse, relativiert allerdings das Bild, dass ein Gemeindearzt wie früher rund um die Uhr und das sieben Tage die Woche im Einsatz sei: „Faktum ist, dass die Ärzte ein anderes Arbeitsverständnis haben als früher.“
Praktiker Haselbruner hat dennoch den Eindruck, dass der „Freizeitfaktor“ ein Mitgrund dafür ist, warum Landärzte immer schwerer aufzutreiben seien. „Wir haben noch jede Stelle besetzen können“, kontert Kassen-Generaldirektorin Wesenauer. Ausnahme war zuletzt Hallstatt – im südlichsten Zipfel Oberösterreichs, wo es jedoch einen zweiten Arzt gebe.
Was die Dienstzeit betrifft, so teilen sich etwa im Gesundheitssprengel, zu dem Haibach ob der Donau gehört, Ärzte aus den Nachbargemeinden die Wochenenddienste. In Zwettl rechnet Hofbauer vor, dass sich derzeit vier praktische Ärzte im Sprengel Bereitschaftsdienste aufteilen. Macht im Schnitt für jeden acht im Monat.
In bestimmten Fällen bleibt jedoch auch außerhalb dieser Zeiten die Tür des Arztes im Ort nicht verschlossen, sofern er anwesend ist. Der Vater, der die beiden Buben mit der Mutter in der Ordination abholt, illustriert das mit einer Begebenheit aus dem heurigen Winter: Mit dem über Übelkeit klagenden Kind im Auto hat er sich zuerst zum diensthabenden, gut 20 Kilometer entfernten Arzt aufgemacht. Schon knapp außerhalb von Zwettl hat sein Sohn zum zweiten Mal erbrochen. Der Vater blieb stehen, rief kurzerhand die nicht diensthabende Gemeindeärztin an und war wenig später bei ihr. Das ersparte dem jungen Patienten die viel längere Fahrt über verschneite, kurvenreiche Mühlviertler Straßen.
Das mit der Nähe und der ständigen „Greifbarkeit“ ist dennoch eine zwiespältige Sache. Hofbauer ist wie viele der rauen Mühlviertler nicht der vordergründig honigsüße Typ. Das ändert freilich nichts daran, dass die Gäste in der kleinen Imbissstube beim Zwettler Busterminal, der früher auch hier einfach Haltestelle hieß, der Neuen einhellig bescheinigen: „Des is a Nette!“ Schon um den Jahreswechsel hatte Vorgängerin Hanna Schneitler die Zwettler in der „Gemeindepost“ beruhigt, dass mit Hofbauer „die vollkommen richtige Person auf diesem Platz“ sein werde.
Abstand. Hofbauer ist es jedoch lieber, dass sie einige Kilometer entfernt wohnt. Dass Patienten „bei mir aus- und eingehen“, wolle sie nicht. So sehr ihr der Job in Zwettl „taugt“, eine gewisse Distanz im täglichen Leben hält sie für keinen Nachteil. Denn sie empfände es als „unangenehm“, würde sie „im Kaufhaus zwischen Tür und Angel“ auf Diagnosen und Krankengeschichten angesprochen.
Quelle: DiePresse.com
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