VwGH: Rotes Kreuz nicht kollektivvertragsfähig
Der Verwaltungsgerichtshof vermisst beim Roten Kreuz jene "Überbetrieblichkeit", die zum Abschluss eines Kollektivvertrags nötig ist. Nun steht auch die Satzung für viele andere Rettungs- und Krankentransportdienste vor dem Fall.
Wien. Der VwGH hat jüngst die Kollektivvertragsfähigkeit des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK) verneint, weil dieses nicht als überbetriebliche Berufsvereinigung anzusehen ist (VwGH 4. September 2013, Zl 2011/08/0230). Das für die Zu- und Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit zuständige Bundeseinigungsamt hat das Erkenntnis des VwGH nun umzusetzen und dem ÖRK die Kollektivvertragsfähigkeit abzuerkennen. In diesem Fall erlöschen alle vom Roten Kreuz abgeschlossenen Kollektivverträge. In Folge würde auch die derzeit noch geltende Satzung des ÖRK-Kollektivvertrags, die für (fast) alle anderen Anbieter von Rettungs- und Krankentransportdiensten gilt, ihre Wirkung verlieren. Das Erkenntnis birgt daher nicht unwesentliche (auch rechtspolitische) Sprengkraft.
Hintergrund: Dem ÖRK wurde 1998 vom Bundeseinigungsamt die Kollektivvertragsfähigkeit als „freiwillige Berufsvereinigung“ zuerkannt, obwohl das ÖRK damals wie heute ein in sich geschlossener Verein war bzw. ist, also anderen Rettungsorganisationen nicht offensteht. 2009 schloss das ÖRK mit der Gewerkschaft einen Kollektivvertrag für die ihm zugehörigen Rot-Kreuz-Organisationen ab. Dabei wurde im Wesentlichen der Inhalt bestehender Bundesländerregelungen in neun bundesländerspezifische Anhänge transformiert und darüber ein Rahmenkollektivvertrag gestülpt. Der ÖRK-Kollektivvertrag ist folglich bis ins Detail auf die Gegebenheiten beim ÖRK zugeschnitten, regelt lediglich die Arbeitsbedingungen für das „eigene Unternehmen“ und ist damit eine Art „Firmenkollektivvertrag“.
Auf Antrag des ÖRK erklärte das Bundeseinigungsamt den Kollektivvertrag dennoch per 2011 zur Satzung. Deren Umsetzung gestaltete sich für die betroffenen Organisationen wegen der „ÖRK-spezifischen“ Eigenheiten administrativ aufwendig und für den Betriebsablauf schwierig. Zudem konnten die Organisationen auch nicht bei Kollektivvertragsverhandlungen mitwirken, weil das ÖRK ja keine Mitglieder außerhalb der ÖRK-Familie erlaubt. Gerade eine solche Mitwirkung ist bei freiwilligen Berufsvereinigungen aber sowohl nach der Gesetzesintention als auch in der Praxis eine Selbstverständlichkeit. Das ÖRK kann die Arbeitsbedingungen für andere Rettungsorganisationen im Ergebnis wie ein Monopolist auf dem Markt beeinflussen.
Lösung für Branche gesucht
Einige dieser Organisationen bemühten sich deshalb, durch eine bestehende andere freiwillige Berufsvereinigung einen gesamtwirtschaftlich ausgewogenen Kollektivvertrag für die Branche mit der Gewerkschaft abzuschließen. Diese Bemühungen scheiterten jedoch daran, dass die Gewerkschaft auf den gesatzten ÖRK-Kollektivvertrag verwies und erkennen ließ, keinen Handlungsbedarf zu sehen.
Um diese Pattsituation zu beenden, wurde der Antrag gestellt, dem ÖRK die einst rechtswidrig verliehene Kollektivvertragsfähigkeit abzuerkennen. Das Bundeseinigungsamt wies den Antrag in erster Instanz ab. Der VwGH sprach aus, dass der Begriff der kollektivvertragsfähigen Berufsvereinigung eine „Überbetrieblichkeit“ verlangt und ein lohnpolitisch völlig freier Markt mit „Firmenkollektivverträgen“ unerwünscht ist. Nach dem VwGH soll vielmehr eine Lohnpolitik gewährleistet sein, die auf gesamtwirtschaftlich erwünschte oder ausdrücklich vorgegebene Zielsetzungen Rücksicht nimmt. Das ÖRK fokussiere sich allerdings bei der Regelung der Arbeitsbedingungen ganz in der Art eines unzulässigen Firmenkollektivvertrags auf die Gegebenheiten des eigenen Unternehmens bzw. des eigenen „Konzerns“. Die Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit sei im Ergebnis in Ermangelung einer „überbetrieblichen Berufsvereinigung“ nicht möglich. Eine solche müsste nämlich sowohl statutarisch die Zielsetzung haben, in einem größeren fachlichen und räumlichen Wirkungsbereich tätig zu werden, als sich auch tatsächlich gemäß diesen Zielsetzungen mit Erfolg betätigen.
Der VwGH legt daher besonderes Augenmerk auf die faktische Betätigung eines Interessenverbandes und den Regelungsinhalt eines Kollektivvertrags. Letzterer soll gerade nicht auf ein Unternehmen zugeschnitten sein, sondern gesamtwirtschaftliche Zielsetzungen berücksichtigen. Daher scheint eine bloße Öffnung der ÖRK-Statuten für andere Rettungsorganisationen nicht zu genügen, um als „überbetriebliche Berufsvereinigung“ qualifiziert werden zu können.
Abzuwarten bleibt, ob nun weitere Arbeitgeberverbände das Erkenntnis aufgreifen, um die Aberkennung anderer, ebenfalls auf wackeligen Beinen stehender Kollektivvertragsfähigkeiten zu erreichen.
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