Sonntag, 22. September 2013

Wenn Helfer Hilfe brauchen

Geschieht Unfassbares, unterstützen Kriseninterventionsteams im ersten Schock. Wie Hinterbliebene und Helfer selbst Hilfe finden.

Es ist der Satz, der immer dann geschrieben wird, wenn passiert ist, was sich niemand ausmalen mag. Und ein Satz, der die Vorstellung von der Situation der Familien ein klein wenig erträglicher macht: „Die Angehörigen werden von Kriseninterventionsteams betreut.“ Nach Morden, Unfällen oder anderen Akutsituationen sind in ganz Österreich binnen kürzester Zeit zwei psychologisch speziell geschulte Mitarbeiter des Roten Kreuzes (oder anderer Einrichtungen) vor Ort.
Dort geht es zuerst um ein Stabilisieren der Angehörigen, sagt Hannes Buxbaum, Leiter des Bereichs Psychosoziale Dienste im Roten Kreuz NÖ. „Um Halt, Orientierung und damit den Menschen Handlungsfähigkeit zu geben, wenn sie paralysiert sind, im Kreis rennen, irrationale Arbeiten wie Wäschewaschen anfangen.“ Ihnen helfen, den Tod begreiflich zu machen: Etwa, indem eine feierliche Verabschiedung beim Leichnam organisiert wird. Oder sie unterstützen, das soziale Netz, Nachbarn, Verwandte, zu aktivieren.

Teilweise sind die Helfer eine halbe Stunde vor Ort, manchmal einen halben Tag. Wenn nötig, organisiert das Rote Kreuz weitere Betreuung durch Psychologen, Therapeuten oder später Trauergruppen. In den ersten Tagen, in denen Angehörige fassungslos sind, ihre Umgebung kaum wahrnehmen, wäre es wichtig, sie nicht allein zu lassen, Nachbarn und Freunde zu verständigen, die die Trauernden immer wieder aufsuchen, ihnen Essen bringen, damit diese dauernd jemanden um sich haben – selbst wenn sie nicht einmal fähig sind, zu sprechen, sagt Andreas Zenker vom Roten Kreuz. Das ÖRK hat ein Netz aus ehrenamtlichen Interventionsteams in den Bezirken aufgebaut, die jederzeit per SMS oder Anruf von der Leitstelle alarmiert werden. Österreichweit arbeiten 1200 RK-Helfer, teils Psychologen, teils geschulte Mitarbeiter, in der Krisenintervention. 2012 wurden sie zu 4300 Einsätzen gerufen. Parallel dazu gibt es Einrichtungen der Länder wie Akutteam NÖ oder Akut-Betreuung-Wien, Stellen anderer Rettungsdienste oder die ökumenische Notfallseelsorge. Wer wann kommt, regeln die Länder individuell. Nach den Morden vom Dienstag in Niederösterreich wurden freilich auch Einsatzkräfte selbst sozialpsychologisch unterstützt. Vor allem durch „Peers“, geschulte Rotkreuz-Helfer, die Kollegen nach belastenden Einsätzen für Gespräche zur Verfügung stehen.


„Gut getragen“ durch kollektive Trauer. Ähnlich sieht die Struktur bei der Polizei aus: Psychologen des BMI – etwa zehn arbeiten dort im psychologischen Dienst – betreuen Beamte nach belastenden Einsätzen. Im Regelfall passiert das aber auch durch „Peer-Support“, also geschulte Kollegen, die für Gespräche zur Verfügung stehen. Das, sagt BMI-Sprecher Karl-Heinz Grundböck, sei ein Angebot, institutionalisierte psychosoziale Supervision für Polizisten gibt es nicht.

Auch die Beamten, die vorige Woche nicht direkte Kollegen verloren haben oder bei dem Einsatz dabei waren, sind von den Morden gezeichnet. „Das immanente Risiko des Berufs wird stärker bewusst“, sagt Grundböck, spricht aber auch von einem stärkeren Zusammengehörigkeitsgefühl in der Polizei, einer „Welle der Solidarität“. Andreas Zenker erzählt von „unglaublichen Rückmeldungen“, man sei „gut getragen“ durch die kollektive Trauer.

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