Sonntag, 16. Januar 2011

Die Zivis werden fehlen...

Das (deutsche) Rote Kreuz bangt um ausreichend Arbeitskräfte - Auch die Betroffenen fürchten sich vor der Zeit ohne die «netten jungen Männer» - Derzeit 14 Zivildienstleistende
Jeden Morgen um kurz vor acht klingelt es bei Familie Schielin in Lindau. Dann holt ein Zivildienstleistender vom Roten Kreuz den 36-jährigen Robert ab und fährt ihn nach Lindenberg in die Werkstätten der Lebenshilfe und das schon seit knapp 15 Jahren. Nur so hat der autistische Mann die Möglichkeit auf einen geregelten Tagesablauf außerhalb seines Elternhauses.


Denn Robert täglich nach Lindenberg zu fahren, wäre für die Familie nicht möglich. Dass jeden Tag der gleiche Zivi klingelt und Robert abholt, ist für den 36-Jährigen, aber auch für seine Familie sehr wichtig. «Robert braucht eine Bezugsperson, die sich nicht ständig ändert», sagt Silke Schielin, die Schwester von Robert. Auch ganz praktische Vorteile hat das für die Familie. «Da Robert nicht sprechen kann, müssen die Zivis bestimmte Dinge über ihn und sein Verhalten wissen», sagt Silke Schielin. Würde jeden Tag jemand anderes kommen, müsste sie jeden Tag aufs Neue erklären, warum Robert etwa im Auto in der Mitte sitzen und der Gurt dabei straff anliegen muss. Mit Schrecken denkt Silke Schielin und ihre Familie daran, dass bald keine Zivildienstleistenden mehr an ihrer Haustür klingeln werden.


Denn mit der Aussetzung der Wehrpflicht, fallen auch die Zivildienstleistenden weg. Das Rote Kreuz bangt jetzt schon um ausreichend Ersatz, um genau diese Angebote weiter in dieser Qualität anbieten zu können. «Sollten unsere derzeit 14 Zivildienstleistenden durch den neuen Freiwilligendienst nicht ersetzt werden können, müssen Serviceleistungen wie der Behinderten-Fahrdienst oder Essen auf Rädern eingeschränkt oder schlimmstenfalls ganz eingestellt werden», befürchtet Kreisgeschäftsführer Hans-Michael Fischer. Schon rein rechnerisch könne der auf 35000 Stellen angelegte Bundesfreiwilligendienst die rund 90000 Zivildienstleistenden, die pro Jahr in Deutschland beschäftigt sind, keinesfalls ersetzen. Folge wäre, dass für viele Aufgaben, die bislang von Zivis erledigt wurden, künftig geringfügig Beschäftigte eingesetzt werden müssten, so Fischer. Die Kosten von bis zu 40000 Euro pro Jahr - so viel zahlt der Bund an die Zivildienstleistenden beim Lindauer BRK - müssten künftig vom Kreisverband selbst getragen werden.

«Wenn geringfügig Beschäftigte die Aufgabe übernehmen, kommt jeden Tag jemand anders», befürchtet Roberts Mutter Brigitte Schielin. Die Zivis sind für die Schielins ein Teil ihres Lebens. Man tauscht sich kurz an der Tür aus und grüßt sich, wenn man sich auf der Straße trifft. «Wir haben bestimmt über 20 Zivis erlebt und alle waren sehr nett», schwärmt Brigitte Schielin und fügt hinzu: «Die Zivis werden fehlen.»

Der neue Freiwilligendienst soll für alle Altersgruppen und für Frauen und Männer offen stehen. Für rund 35000 Menschen will der Bund die Möglichkeit zum gemeinnützigen Einsatz bieten. Wer 27 Jahre und älter ist, soll einen Teilzeit-Dienst wählen können. Der Bundesfreiwilligendienst soll in der Regel ein Jahr dauern. Er kann aber auf ein halbes Jahr verkürzt oder auf anderthalb Jahre verlängert werden, in Ausnahmefällen auch bis zu zwei Jahre dauern.

Ein solcher Freiwilligendienst oder auch ein freiwilliges soziales Jahr hält Silke Schielin und auch ihre Mutter für eine sehr gute Idee. «Egal ob Männer oder Frauen, ich glaube, jungen Menschen bringt das sehr viel fürs Leben», ist sie überzeugt. Der Meinung ist auch Susanne Übelher, beim Roten Kreuz in Lindau für die Zivildienstleistenden zuständig. In knapp 13 Jahren hat sie über 100 Zivis erlebt. «Alle derzeitigen Zivis haben ihre Zeit von sechs Monaten freiwillig auf neun verlängert», erzählt sie. (feß, ust)